Der folgende Blogpost ist kein Originalbeitrag. Er wurde vielmehr zuerst auf dem Blog des Digital Humanities Lab des Leibniz-Instituts für Europäische Geschichte (https://dhlab.hypotheses.org/) veröffentlicht. Lara Beringer, Geschichtsstudentin in Mainz, beschreibt ihre Erfahrungen mit einer projektförmigen Lehrveranstaltung des Historischen Seminars, in der intensiv mit dem Digikar-Projekt, der Digitalen Kartenwerkstatt Altes Reich (https://digikar.eu/), zusammengearbeitet wurde.
Fundort: Lara Beringer, "Wie Historiker:innen arbeiten. Einblicke in die Projektlehre im DigiKAR-Projektseminar", in Digital Humanities Lab, 22/09/2023, https://dhlab.hypotheses.org/4081.
Wie Historiker:innen arbeiten. Einblicke in die Projektlehre im DigiKAR-Projektseminar
von Lara Beringer
Häufig laufen Lehrveranstaltungen nach einem bestimmten Schema ab: Die Themen der Seminare und einzelnen Sitzungen stehen bereits fest, während des Semesters werden von den Dozent:innen vorab ausgewählte Quellen und Literatur gelesen und vorbereitet, meist hält man ein Referat, eine Sitzungsleitung o. Ä., um seine aktive Teilnahme zu erlangen und am Ende des Semesters schreibt man eine Hausarbeit, die nach der Lektüre durch die Dozent:innen für immer in der Versenkung verschwindet. Während diese Abläufe bewährt sind und insbesondere am Anfang des Studiums die Grundlage für späteres wissenschaftliches Arbeiten schaffen, sind sie im fortgeschrittenen Studium immer häufiger repetitiv, frustrierend und weit entfernt von der eigentlichen Arbeitsweise von Historiker:innen.
Ganz anders lief ein von mir besuchtes Projektseminar im Sommersemester 2022 ab, das im Rahmen der Digital erweiterten Projektlehre (ModeLL-M) von Prof. Dr. Bettina Braun angeboten wurde. Der Titel war weit gefasst: Mobilität in Kurmainz. Bereits in der Veranstaltungsbeschreibung wurde darauf hingewiesen, dass es sich hierbei nicht um ein „normales“ Hauptseminar handeln würde, sondern dass es darum gehen solle, Daten zu erheben, erfassen, bereinigen, zu visualisieren und die Ergebnisse dann digital in Form von Karten verfügbar zu machen. Weiterhin sollten diese Daten für das größer angelegte laufende Forschungsprojekt DigiKAR nachgenutzt werden. Im Folgenden möchte ich gerne über meine Erfahrungen in diesem Seminar berichten, mit besonderem Hinblick auf die Projektlehre als moderne Alternative zum klassischen Seminar.
Zugegeben: Die ersten Sitzungen liefen ebenfalls noch nach dem altbewährten Schema ab, allerdings musste auch erst einmal die fachliche Grundlage geschaffen werden, auf die aufgebaut werden konnte. Wir beschäftigten uns also mit unserem Forschungsgegenstand und dessen spezifischen Problemen: dem vermeintlichen „Flickenteppich“ des Alten Reichs, mit dem besonderem Schwerpunkt Kurmainz, bereits vorhandenen Darstellungen des Alten Reichs in statischen Karten und diskutierten die von uns dazu gelesene Forschungsliteratur. Aber es gab trotzdem bereits Ausblicke auf das kollaborative, selbstbestimmte Arbeiten: So wählten wir alle gemeinsam eine Personengruppe, deren Mobilität wir in digitalen, in bestem Falle interaktiven, Karten darstellen wollten. Die Entscheidung fiel nach einiger Diskussion auf die Mainzer Domprobste zwischen 1650 und 1800. Ebenfalls gemeinsam entschlossen wir uns nach der ersten Sichtung grober Lebensdaten der Personen dazu, dass wir uns ihre geographischen Lebensstationen anschauen wollten. Um alle Personen abdecken zu können, teilten wir uns auf und erstellten gemeinsam einen ungefähren Zeitplan für das laufende Semester, den wir stetig neu evaluierten und ggf. anpassten.
Da klar war, dass die nächste Zeit zunächst von der Recherche der Lebensstationen der Mainzer Dompröbste beansprucht werden würde, einigten wir uns darauf, uns nicht – wie sonst üblich – jede Woche zu treffen, sondern stetig digital miteinander im Austausch zu bleiben, uns bei unseren Recherchen zu unterstützen und erst nach einigen Wochen wieder zusammenzutreffen. Diese Art der Seminarorganisation ermöglicht ein sehr hohes Maß an Freiheit, fordert aber auch nötige Selbstdisziplin: In einigen Arbeitswochen hatte man durch die intensive Recherche einen höheren Workload, als das bei einer „normalen“ 90-minütigen Seminarsitzung mit Vor- und Nachbereitung der Fall gewesen wäre. Durch die digitale Kommunikation hatte man aber immer Unterstützung, falls benötigt. Als relativ kleine Gruppe (8 Student:innen) konnte zudem individuell auf unsere bereits vorhandenen Kenntnisstände, aber auch Fähigkeiten, eingegangen werden.
Sehr interessant und nah an der Arbeit in geisteswissenschaftlichen Projekten war auch die Kommunikation mit und Unterstützung von anderen Fachwissenschaftler:innen, namentlich Florian Stabel, der uns bei der Datenerfassung sowie -bereinigung beratend zur Seite stand sowie Dr. Jana Moser und Dr. Monika Barget, die uns in QGIS, die Anwendung, mit der wir später unsere Karten erstellten, einführten und uns auch bei der Anfertigung der Karten, Geocodierung der Daten und dem Aufbau der Webpräsenz clerical-mobility.ieg-mainz.de unterstützen.
Am Ende unseres – zu diesem Zeitpunkt noch sehr experimentellen – Projektseminares konnten wir tatsächlich mehrere Produkte nachweisen, die zumindest versuchen, ein Forschungsdesiderat zu füllen und die Open Access verfügbar sind. Zudem wurden unsere Daten im Sinne der FAIR-Data-Prinzipien im DigiKAR-Projekt nachgenutzt und sind über ein GitHub-Repositorium frei zugänglich. Abschließend stand anstelle einer Hausarbeit eine Art Projektbericht, der den Entstehungsprozess der Produkte kritisch beleuchtete.
Ich würde mich jederzeit wieder für ein Projektseminar anstelle eines regulären Hauptseminars entscheiden, da mir die kollaborative Arbeit in einem Forschungsprojekt mit einer sehr großen Portion Selbstorganisation gut gefallen hat. Ich hoffe, dass das Historische Seminar sein Angebot der Projektlehre erweitert und vor allem, dass die potenziellen Produkte dieser Seminare im digitalen Raum angesiedelt sein werden.